Ernst Joöl und Fritz Fränkel:
Trotz dieser häufig vorhandenen und. noch genauer zu erörternden kritischen
Stellung findet — ein Gegensatz zum Alkoholdeliranten — eine schnelle syste-
matisierende wahnhafte Umdeutung der Sinneswahrnehmungen statt.
Es wurde schon betont, daß die Richtung der sich an die Reize der Außen-
welt anschließenden Vorstellungen vor allem durch das Angstgefühl bestimmt
wird und daß dieser Affekt zu wahnhaften Ideengängen drängt. Es sind. diese
mannigfaltiger Art, und wir haben schon erwähnt, wie sie meist einen Beziehungs-
charakter haben und. dann zu gefährlichen Akten führen können. Abgesehen
von diesen werden häufig Vergiftungsideen geäußert. B. E. sah z. B. in Kuchen,
der ihm gereicht wurde, Rosinen als Gift an oder behauptete, die Getränke
hätten eine eigenartige Färbung; ja es kommt vor, daß trotz aller Gier nach
dem Gift Cocain zurückgewiesen, sogar weggeschüttet wird, mit der Be-
gründung, man habe etwas hineingetan, es schmecke anders als sonst, einer
sah in dem Pulver lauter Läuse. E. konnte nur mühsam von uns zurückgehalten
werden, seinen Shawl wegzuwerfen, dessen punktiertes Muster auch Anlaß zu
Tiervisionen wurde.
Zum Teil sind die Wahnvorstellungen mit der Perzeption der elementaren
Empfindungen so eng verbunden, daß nicht einmal bei der Beschreibung eine
Trennung möglich ist, wie etwa die Umdeutung der Hautsensationen als ver-
ursacht durch iggendwelche Objekte. Aber auch die anderen Sinnestäuschungen
verführen zu komplexeren Wahnideen. Vor allem werden die Gehörstäuschungen
verknüpft mit Angstvorstellungen, und es entsteht geradezu ein Verfolgungs-
wahn, der die älteren Autoren den Cocainrausch als paranoia hallueinatoria
bezeichnen ließ. Am häufigsten wird in diesem Zustand von Einbrecherangst
berichtet. Jedes Knacken, jeder Tritt auf der Treppe verkünden dem Erwartungs-
vollen die nahenden Eindringlinge. Mit gespanntem Revolver kann so der
Cocainist stundenlang dasitzen und in ständiger Furcht immer wieder zur Tür
eilen. Der Offizier, bei Ausbruch der Revolution, verbarrikadiert sich gegen die
heranstürmenden Meuterer. Dieser raptus panaphobique, wie Vallon u.
Bessi ere diese häufigste akute Vergiftungsreaktion des Cocainisten nennen,
wechselt in seinem Inhalt natürlich mit den jeweiligen Situationen. Spielt
bei dem in der Wohnung Befindlichen die Einbrecherpsychose eine wesent-
liche Rolle, so reagiert z. B. der Grenzschutzsoldat K. E. im gleichen Zustand
mit plötzlichem Alarmieren seiner Kameraden, er hört die Feinde kommen,
halluziniert Schüsse und kann von der Unwirklichkeit seiner Erlebnisse kaum
überzeugt werden.
Wenn auch, wie erwähnt, impulsive, ja gemeingefährliche Handlungen
zuweilen durch wahnhaft umgedeutete Wahrnehmungen ausgelöst werden
und so der Anschein völliger Einsichtslosigkeit erweckt wird, bleibt nicht nur
das Persönlichkeitsbewußtsein in vielen Fällen von Cocainrausch erhalten,
sondern es besteht auch eine mehr oder weniger deutliche Einsicht in die Unwirk-
lichkeit des Erlebten, in seine toxische Bedingtheit. Der vage Gedanke: das
ist nichts Echtes, der Spuk rührt vom Cocain her, kann während der ganzen
Dauer persistieren. Es ist dies kein klares Wissen, mehr eine Bewußtheit, ein
Zustand, der am besten durch den Vergleich mit dem Traum veranschaulicht
wird, den uns gegenüber auch ein Cocainist spontan gebrauchte, wie auch fran-
zösische Autoren von dem r6ve en action sprechen. Und nicht nur pflegt die
persönliche Orientierung erhalten zu bleiben, man kann aus den Berichten