Uber seine zweite Schingú-Expedition. 375
Bruders aus der Vorzeit. Spielend úberwanden wir nun mehrere
böse Katarakte und fanden uns am Nachmittag in dem ersten Dorfe
| der Bakairí ehrenvoll aufgenommen, denn der uns einführte, war
| Tumayaua selbst, das vortreffliche Oberhaupt der kleinen Gemeinde.
| Wir aber wurden mit demselben Namen begrülst, der bei vielen Stämmen
nördlich und südlich des Amazonenstroms von Anbeginn an dem Fremden
gegeben worden — mit dem des „Kariben‘“, und ich sah mich von
jetzt ab zu der schmeichelhaften Würde eines „pima Karaiba“, eines
Kariben-Häuptlings erhoben
Ich schickte die beiden Leute mit der frohen Botschaft in das
Lager zurück und blieb ohne Bedenken allein inmitten der neuen
Freunde
Es wäre mir ganz unmöglich, den Reiz dieses idyllischen Aufent-
halts nach seiner vollen Wirkung zu schildern. Ich kann nicht anders
_ sagen, soweit der Ausdruck überhaupt auf der Erde noch statthaft ist,
"und sage es jedenfalls frei von jeder poetischen Sentimentalitát, ich
habe damals im Paradiese gelebt, — ich meine das auch viel weniger
E mit Bezug auf den allerdings ganz wundervollen stillen Frieden, der
‘| über dem einfachen Völkchen in all seinem Thun und Treiben schwebte, und
eine Folge seiner harmlosen Fröhlichkeit, seiner kindlichen Neugier, seiner
| gesunden sittlichen Urwüchsigkeit war, nein, vor allem habe ich begreifen
lernen, wie groß thatsächlich der Abstand in der geistigen Ent-
wicklung zwischen uns ist und ihnen, wie anders sich die Welt in diesen
Köpfen malt, als in den unseren. Keiner, der nicht beobachtend und
prüfend unter solchen Menschen gelebt hat, ist irgendwie im Stande,
sich vorzustellen, wie grofs ihre Unfähigkeit ist, zu abstrahieren, wie sie
im Denken und Sprechen nachweisbar in einem uns und unsern ältesten
Vorfahren schon ganz unzugänglichen Verhältnis zu der umgebenden
Natur stehen; Schritt für Schritt, bei den allergewöhnlichsten Schlüssen
mufs man sich dabei ertappen, dafs man konstruierender denkt wie
sie, daß man mit übergeordneten Begriffen operiert, die ihnen
fehlen, und Abstraktionen voraussetzt, wo sie noch auf dem Boden
konkretester Anschauung fußen. Aber es ist eben unendlich leichter
für uns, kompliziert als einfach zu denken, wie wir denn Alle wissen,
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dafs der einfachste sämtlicher geistigen Vorgänge — die Bildung des
ersten Begriffs — zugleich auch das größte und schwerste aller Rätsel
* darstellt.
Ich kann hier auf die psychologische Würdigung des Steinzeit-
indianers, die mir mehr und mehr zum interessantesten Teil meiner
Aufgabe heranwuchs, des Näheren nicht eingehen, aber ich darf nach
meinem jetzigen praktischen Kursus die immer noch nicht genug be-
kannte Wahrheit betonen, dafs die Ethnologie nur durch Induktion und
ARDE
nur durch Erfahrung die dauernde_ Grundl lage einer, wirklichen Wissen-
schäft “erwerben kann, und ich behaupte ohne Scheu, daß ganze Berge