108 Totschlag
Leute“'!. Der Häuptling kann in solchen Fällen gar nichts machen, nur
seinen Rat geben. Alles andere bleibt den Verwandten überlassen. Wenn
einer in einem Haus erschlagen wird, so wird das Haus sofort verlassen?
Kurz vor meiner Ankunft in dem Dorfe Koimélemong am Surumü
hatten die Kamarakotó am Caröni einen Arekuná mit Pfeilen erschossen,
weil dieser einen Kamarakotö mißhandelt hatte, einen Bruder des Mannes,
der ihn dann erschoß. Die Nachricht verbreitete sich sofort wie ein Lauf-
feuer über das ganze Gebiet und wurde überall eifrig besprochen.
Mein Taulipängbegleiter Mayaluaipu erzählte mir folgende Begebenheit:
Einige Jahre vor meiner Reise wurde in seinem Haus am Majary sein
Oheim von drei jungen Taulipäng, Vettern des Erzählers, bei einem Trinkfest,
das dieser veranstaltet hatte, in der Trunkenheit erschlagen. Sie traten ihn
mit den Füßen tot, brachen ihm ein paar Rippen und zermalten ihm das
Kinn. Dann flohen sie. Einige Tage danach kamen die Verwandten des
Erschlagenen, Makuschí von der sogenannten „Maloka bonita“, einem
größeren Dorf an der Ostseite des Mairarigebirges, und wollten Mayaluatpu
töten, weil er schuld hätte an dem Tode seines Oheims, da er
das Trinkfest gegeben habe. Sie kamen mit Keulen, Messern und
Waldmessern und lauerten ihm einige Nächte lang, in der Nähe seines
Hauses versteckt, auf, wagten sich aber nicht hervor, weil sich jener mit
einem Karabiner bewaffnet hatte. Dann zogen sie sich zurück. E
„Es gibt Menschen,“ fügte der Erzähler hinzu, „die gar keinen Spaß
vertragen können, sondern sofort Streit anfangen. Mein Bruder ist ein
solcher Zänker; er hat sogar mit seinem eigenen Vater gestritten.“
Aus vielen Sagen erkennt man, wie tief die Blutrache in das Leben
dieser Indianer eingreift. In der Plejadensage tötet Zilizoaíbu oder Zilikawat
seine Schwiegermutter, worauf ihm seine Frau aus Rache das eine Bein
abschlägt. Sein Bruder heiratet zwar die Mörderin und hat mit ihr fünf
Kinder, sinnt aber immer auf Rache und bringt seine Frau schließlich auf
grausame Weise ums Leben®, — In einer anderen Sage ruft der Held als
Kriegsháuptling alle Fische und andere Wassertiere zusammen, um den
! Von den Inselkaraiben sagt Rochefort a.a.0., S. 432: „Ein Bruder rächt seinen
Bruder und seine Schwester, ein Mann seine Frau, ein Vatter seine Kinder, die Kinder ihren
Vatter. Und also werden die jenige, die einen getödet, auch leicht wieder umbracht, weil sie
der Rache nit vergessen.“
®Rich.Schomburgk (I, 159) erzählt, wie ein Warrauknabe den Tod seiner Eltern
an einem Zauberarzte rächt, dem er das Haupt mit der Keule zerschmettert. Der Bruder des
Erschlagenen begräbt den Leichnam in derselben Hütte. Die Bewohner brennen das Dorf
nieder und ziehen in eine andere Gegend.
8 Vgl. Band II, S. 60—61, 56, 58, 239 ff.