Full text: Ethnographie (3)

  
Geistige Fähigkeiten 117 
an nicht daran denken, ihr Versprechen zu halten. Ich will hier nicht von 
den beklagenswerten Indianern sprechen, die, mehr oder weniger gezwungen, 
im Dienste gewissenloser und roher Ansiedler stehen. Auch den Indianer, 
der in den Dienst des Forschungsreisenden tritt, soll man nicht allzu hart 
beurteilen, wenn er wankelmütig wird. Jeden Tag entfernt er sich mehr 
von seiner Heimat, seiner Familie; das Heimweh packt ihn; die ungewohnte 
Lebensweise, gelegentlicher Hunger, Strapazen und Gefahren schwächen ihn; 
die Furcht vor der wilden, unbekannten Gegend, vor feindlichen Stämmen, 
in deren Gebiet er sich immer tiefer hineinwagt, führt ihm alle möglichen 
Schrecknisse vor die Seele; ein Traum, den er für Wirklichkeit hält, ver- 
stárkt seine Furcht. Ist es da ein Wunder, wenn er, den nicht der Idealis- 
mus seines Herrn treibt, eines Tages wortbrüchig wird? 
Manchmal bestimmen den Indianer auch andere Gründe, seinem Vor- 
satz untreu zu werden. Als ich am Fall Urumamy zwei meiner Leute, 
die sich nur bis dahin verpflichtet hatten, in ihre Heimat entließ, wollte 
auch der Purukotó Mönekai umkehren, obwohl er gegen das Versprechen, 
mich bis zu den Yekuaná zu begleiten, schon im voraus einen Teil seines 
Lohnes empfangen hatte. Er war ein weitgereister Mann und kannte keine 
Furcht, aber bei einem früheren Besuch bei den Yekuanä hatte er sich 
dort verheiratet und dann beim Abschied seine Frau und seinen kleinen 
Sohn zurückgelassen, Daher rührte seine Abneigung, wieder den Schau- 
platz seiner Taten zu betreten. Nachdem ich ihn dazu gebracht hatte, sein 
Versprechen zu halten, war er einer meiner besten und zuverlässigsten 
Leute. 
Meistens versteht es der Indianer, seine Empfindungen zu verbergen, 
besonders das unmännliche Gefühl der Furcht. Um so auffallender war es, 
daß bei dem sonst klugen und feinen, aber sehr nervösen Mayaluaípu, als 
wir auf der Fahrt nach Westen in das Gebiet der gefürchteten Schirianá 
und Waika kamen, die Feigheit bisweilen offenkundig zutage trat, wenn er 
auch seine Furcht nie zugestehen wollte und sie, wenigstens vor mir, unter 
allen möglichen Vorwänden zu verbergen suchte. 
Wie es unter den Indianern Gerechte und Ungerechte gibt, so sind 
auch die geistigen Gaben bei ihnen verschieden verteilt. Im allgemeinen 
aber kann man sagen, daß sie eine rasche und scharfe Auffassungsgabe 
besitzen. Dies zeigt sich schon in der Leichtigkeit, mit der sie fremde 
Sprachen lernen. Manche sprechen neben ihrem Idiom ziemlich fließend 
Portugiesisch oder beherrschen noch zwei bis drei Indianersprachen so weit, 
daß sie sich mit Angehörigen der betreffenden Stämme verständigen können. 
Auch das musikalische Gehör ist bei den meisten Indianern sehr aus- 
 
	        
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