Full text: Ethnographie (3)

DAS LAND UND SEINE BEWOHNER 
Die Wohnsitze der Stämme, deren Kultur hier behandelt werden soll, liegen 
etwa zwischen dem 3° und 5° n. Br. und zwischen dem 60° und 68° w. L. v. 
Greenw. Dieses Gebiet erstreckt sich vom Rio Branco-Uraricuéra nach Norden 
bis zum Roroima und nach Westen bis zum Orinoco und zerfällt in zwei 
scharf geschiedene Teile, Baumsavanne im Osten und tropischen Regenwald 
im Westen. Die zusammenhängende Baumsavanne reicht westlich bis zur 
großen Insel Maracä des Uraricuéra. Von da westwárts bis zur Parima- 
kette, der Wasserscheide zwischen Uraricuéra und Orinoco, und darüber 
hinaus findet sich geschlossenes Urwaldgebiet, das am mittleren und 
unteren Ventuari von baumarmen Savannen abgelöst wird. Der charakte- 
ristische Baum dieser Savannen ist die Miritipalme, Mauritia flexuosa, die 
vereinzelt oder in Gruppen den Lauf der Flüsse und Bäche begleitet und 
durch ihre vornehme Schönheit — sie wird über 100 Fuß hoch — das Auge 
erfreut. Ihre Fasern und Blätter werden von den Indianern zu mancherlei 
Arbeiten benutzt. Neben ihr verleiht die Curatella americana (L.) der Savannen- 
region ihr Gepräge. Im Gegensatz zu jener stolzen Palme, die überall feuchten 
Boden anzeigt, ist die Curatella der vorherrschende Baum der niederen, 
trockenen Savanne. Ihre Bedürfnislosigkeit äußert sich in dem krüppel- 
haften Wuchs, den gleichmäßig gezackten, mit korkartig zerrissener Rinde 
bedeckten Ästen und den harten, rauhen Blättern, die von den Indianern 
zum Polieren ihrer Waffen und Geräte benutzt werden?. 
Dieses riesige Gebiet ist äußerst spärlich bevölkert. Die Siedlungen der 
Indianer liegen oft mehrere Tagereisen weit voneinander; ja, es gibt gewaltige 
Strecken, wie der Mittel- und Oberlauf des Uraricuéra, die, abgesehen von 
kleinen Horden streifender Indianer, heute ganz menschenleer sind. Stets 
finden sich die Siedlungen in der Nähe eines Wasserlaufes auf höherem 
Boden, wo sie nicht der jährlichen Überschwemmung ausgesetzt sind. Im 
Savannengebiet lehnen sie sich gern an einen Gebirgszug an, der an den 
felsigen Hängen eine dünne Humusschicht trägt und sich daher zum Anbau 
von Nutzpflanzen eignet, während der steinige und sandige Boden der flachen 
Savanne keinen Ertrag liefert. Auch in der Trockenzeit empfangen diese 
Hänge gewöhnlich durch Niederschlag von Tau und Nebel genügend Feuchtig- 
  
! TheodorKoch-Grünberg, Vom Roroima zum Orinoco. Reisen in Nordbrasilien und 
Venezuela in den Jahren 1911—1913. Mitteilungen der Geogr. Ges.in München. Bd. XII, S.1ff. 
Koch-Grünberg, Vom Roroima zum Orinoco, Bd. III 1 
 
	        
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