Full text: Ethnographie (3)

   
    
218 Kanaime in Tierverkleidung 
Lande darf man nicht ausspucken“, sagte Mayaluaípu. „Sie verschließen 
den Speichel in einer Bambusbüchse und machen eine Zauberei darüber, 
so daß der Betreffende sterben muß.“ — Die unheimlichsten Kanaimé sind 
die Pischaukö, weil sie heute offenbar nur noch in der Phantasie der Indianer 
bestehen. Jeder spricht von ihnen, aber, wenn man der Sache auf den Grund 
geht, so hat sie keiner gesehen. Drei kurz aufeinander folgende Todesfälle 
in Koimélemong wurden den Kanaimé dieses sagenhaften Stammes zug®- 
schrieben. 
„Bisweilen zieht der Kanaimé das Fell eines Jaguars über und schreckt 
damit die Leute, so daß sie krank werden und sterben.“ — So machen es 
die gefürchteten Pischaukó. „Sie töten nicht offen, sondern als Kanaimé 
des Nachts, in Felle von Jaguaren und Hirschen verkleidet'.“ Dies ist ein 
deutlicher Beweis dafür, daß der Kanaiméglaube eng zusammenhängt mit 
dem Glauben an die Macht des Zauberarztes, der sich durch Überstreifen 
des Felles in einen Jaguar verwandeln kann, um die Menschen zu schädigen?. 
In dem Begriff Kanaimé steckt auch für den Indianer noch viel Un- 
bestimmtes®. „Der Kanaimé ist gar kein Mensch“, so heißt es. Er geht 
nachts um und tötet Leute, nicht selten mit der kurzen, schweren, vier- 
kantigen Keule, der alten Kriegskeule, die heute beim Tanz auf der Schulter 
getragen wird. „Er schlägt damit dem Menschen, dem er begegnet, alle 
Knochen entzwei, aber der Mensch stirbt davon nicht sofort, sondern geht 
nach Hause, abends aber bekommt er Fieber, und nach vier oder fünf 
1 Der Kanaima der Makuschi bekleidet sich mit einem Tierfell (Rich. Schomburgk 
a. a. O. Bd. I, S. 324). — Der Kanaima malt sich rote Flecken auf die Haut, um zu zeigen, daß 
er sich nachts in einen Jaguar verwandeln und so sein Opfer erschlagen kann (Brett, Legends, 
S. 154). — Nach Im Thurn hat der Kenaima die Gabe, seine Seele in einen anderen Körper 
fahren zu lassen und sein Opfer in Tiergestalt zu verderben. Er kann ein Jaguar, eine Schlange, 
ein Stachelrochen, ein Vogel, ein Insekt oder etwas Ähnliches sein. — In der Gestalt von 
Würmern, Insekten und leblosen Gegenständen kann der Kenaima in den Körper eines Feindes 
dringen und ihm alle möglichen Schmerzen verursachen, bis er durch die Kunst des Zauber- 
arztes entfernt wird (a. a. O. S. 332/333). 
2 Vgl. oben 8. 200/201. — Ein Jaguar, der sich mit besonderer Kühnheit einem Menschen 
nähert, wird oft selbst in einem tapferen Jäger die Furcht wachrufen, es könnte ein Kanaima- 
tiger sein, d.h. ein von einem Kanaima besessener Tiger. — Blutdürstige Menschen können 
ihre Seelen in Jaguare verwandeln (Brett, The Indian Tribes, S. 374). 
3 Rich. Schomburgk (I, 322) nennt ihn einen , Proteus ohne feste Gestalt und be- 
stimmten Begriff“. — Trotz seines langen Aufenthaltes unter den Makuschi ist es ihm nicht 
gelungen, „eine klare Ansicht von diesem Kanaima zu gewinnen, da dieser nicht nur als böses, 
unsichtbares, dämonisches Wesen, sondern auch in vielen Fällen als eine individuelle Persön- 
lichkeit, immer aber als Rächer für bewußte oder unbewußte Beleidigung erscheint. Wer und 
was Kanaima sei, konnten sie uns nie sagen, wohl aber erklärten sie jeden Todesfall für seine 
Wirkung, sein Tun.“ — Vgl. auch Appun, Ausland 1869, S, 303/304. 
 
	        
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