Full text: Ethnographie (3)

Musik und Musikinstrumente A 421 
sind sicherlich sehr alt und völlig unbeeinflußt. Man darf aber nicht ihre 
Charakteristik als Kennzeichen „primitiver“ Singweise ansehen: bei einer 
Anzahl von Stämmen gerade auf niedriger Kulturstufe (Guatö, Guayaki, 
Botokuden und Puri)! fehlen angeblich die Zauberárzte und mit ihnen dann 
wohl auch ihre musikalische Kunst und ihre akustischen Kunststücke. 
Die weitaus zahlreichste Klasse bilden, wie bei allen Indianern, die 
Tanzgesänge. Gemein-indianisch sind die Tanzbewegungen: ein langsames 
Schreiten mit einknickenden Knien, leichtem Vorwärtsneigen des Ober- 
körpers und Aufstampfen mit dem rechten Fuß bei jedem zweiten Schritt?; 
gemein-indianisch auch die dieser Charakteristik vollkommen entsprechende 
Bewegungsform des Melos (vgl. S. 415f.). Es ist daher kaum möglich, die 
einzelnen Tanzarten musikalisch voneinander zu unterscheiden. Immerhin 
zeichnet sich der oarebä (M. 11—15; T. 24) aus durch das nie fehlende 
Abgleiten auf die Unter-Sekunde, -Quarte oder -Quinte des Haupttons, den 
Wechsel von ?/2- und °/s-Takt und etwas reicheren motivischen Aufbau; 
obwohl diese Kennzeichen einzeln auch bei andern Tanzarten vorkommen, 
ist ihre Vereinigung doch vielleicht dem oarebä eigentümlich. Der eigentliche 
Unterschied der Tänze aber dürfte, auch für die Indianer selbst, überhaupt 
kein formaler sein, sondern in ihrer Bedeutung liegen*. Die Namen und die 
archaische Sprache der Texte werden zwar teilweise heute nicht mehr ver- 
standen‘. Aber der Sinn der Tänze im allgemeinen und der besondern 
Arten geht aus den überlieferten Mythen noch deutlich hervor. Die Tanz- 
gesänge bilden einen Teil, ja eigentlich den Kern der Erzählung. Es wird 
ausdrücklich gesagt, daß die heutigen Tänze und Gesänge von den mythischen 
herstammen: diese sind die Ahnen jener, so, wie die mythischen Personen 
— Tiere, Heroen, Dämonen, Menschen —, die sie tanzen und singen, die 
Ahnen der heutigen Indianer sind. (Auch die nordamerikanischen Indianer 
führen ihre Gesänge auf die Totemtiere zurück, die in den Erzählungen 
ebenfalls singend auftreten.) In einer Sage der Taulipáng* verändert sich 
zuerst das Schreien des Kindes in das des kleinen Habichts kukui, das 
Weinen der Mutter in den Ruf des Habichts enakin, dann erst verwandeln 
sich die Menschen in die Vogelgestalt. Das Habicht-Kind singt dann den 
kuküyikog, der von der Verwandlung berichtet und heute einen Teil des 
!Lublinski, Z.f. E. 52, 236; 1920, 
21. 59; 61; 68. — Ehrenreich a, a. O. 70. 
3 ]I. 1141, 198%, 
*Koch-Grünbergs Gewährsmann Akdli, ein Arekuná, unterschied auch nach dem 
Tempo. (11. 120.) 
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