Full text: Omphalos

    
EEE 
  
BERRBET 
  
20 WILHELM HEINRICH RoscHer, [XXIX, 9. 
II. 
Der Gedanke eines Zentrums (‘Nabels’) der Erdoberfläche 
bei verschiedenen Völkern.”) 
Die Vorstellung eines “Nabels’ der Erdoberfläche hängt natur- 
gemäß mit der uralten und überall verbreiteten Anschauung zu- 
sammen, daß die Erde eine kreisrunde (oder auch viereckige; s. unten!) 
Fläche sei, die als solche mit mathematischer Folgerichtigkeit 
einen Mittelpunkt oder‘Nabel’ haben müsse. Selbstverständlich 
verschwand die Idee eines Zentrums der Erdscheibe sofort oder 
ging in eine andere Vorstellung über, sobald man erkannte, daß 
die Erde keine runde, horizontale Ebene (Scheibe), sondern viel- 
mehr eine Kugel sei. Wir werden später sehen, daß dieser Über- 
gang bereits in vorchristlicher Zeit bei den Griechen stattgefunden 
hat, die demgemäß genötigt waren, ihre Anschauung vom Erd- 
nabel (Delphi, Branchidai) in die von der Erd- und Weltachse 
(ἄξων, axis) zu verwandeln. Wir beginnen unsere Übersicht der 
einschlägigen Vorstellungen mit den Völkern des äußersten Ostens, 
um schließlich bei denen des äußersten Westens zu enden. 
I. Das uralte Kulturvolk der Chinesen, die bekanntlich ihr 
Land Tschung Kwo, ἃ. i.“Reich der Mitte (nicht aber “Himmlisches 
Reich’) nennen°®), “betrachtet’, wie mir A. FoRKE freundlichst mit- 
teilt, “seit dem Ende des 12. Jahrhunderts vor Chr. Loyang, auch 
Loyi genannt, das heutige Honanfu in der Provinz Honan als 
den Mittelpunkt Chinas und der Welt”) Loyi wurde um 1098 
vor Chr. vom Herzog von Tschou gegründet und zur zweiten 
(östlichen) Hauptstadt der T'schou-Dynastie gemacht. Die Grün- 
dung wird erzählt im “Buch der Geschichte’, dem Schuking. Wie 
der Ort für die neue Hauptstadt gefunden wurde, ersieht man 
35) Ich verdanke die im Folgenden dargelegten Anschauungen der Chinesen, 
Semiten, Perser usw. größtenteils den mir äußerst wertvollen brieflichen Mitteilungen 
von A. Forke in Berlin, I. Goupzıuer in Budapest, A. Jeremias in Leipzig und 
Kup. Lange in Berlin-Steglitz. 
36) Meyers Konvers.-Lex.® 4, 34”. 
37) Man beachte, daß auch hier der “Nabel” eines beschränkteren Gebietes 
mit dem der Erde zusammenfällt. Wir werden später das gleiche auch bei den 
Israeliten und Griechen beobachten. Wahrscheinlich ist in solehen Fällen der “Nabel’ 
der beschränkteren Gebiete der ältere. 
  
  
  
 
	        
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