Full text: Omphalos

38 WILHELM HEmRIcH RoscHER, [XXIX, 9. 
grabungen in und bei Milet, ergab leider nur ein negatives Re- 
sultat. WıEsann hatte die Güte, mir am 29/V 1912 zu schreiben: 
„Spuren eines “Omphalos’ haben sich bei den Französischen 
Grabungen im Innern des Didymaions, wo man die Orakelquelle 
vermuten darf, nicht gefunden. Über die Einrichtung der Quelle 
haben die neueren Grabungen der Berliner Museen so viel ergeben: 
a) Die Quelle befand sich im hinteren, westlichen Drittel des 
Adyton. Unter Adyton verstehe ich den großen unbedeckten west- 
lichen Hauptraum des Tempels.‘) 
b) Die Stelle, wo die Quelle floß, war mit einer besonderen, 
sehr feinen Gebäudearchitektur überbaut. Von dieser haben sich 
eine größere Anzahl Marmorfragmente bisher gefunden. Die Stelle 
der Quelle selbst ist von den Grabungen noch nicht erreicht. Das 
wird aber in diesem Herbst [1912] der Fall sein. 
c) Dies Quellgebäude wurde bei Einführung des Christentums 
abgerissen, seine Bruchstücke wurden in einer Kirche verbaut, die 
man im Adyton errichtete. Sollte sich im Herbst etwas über 
einen Omphalos an der Quelle ergeben, so werde ich mir erlauben, 
Sie sofort zu benachrichtigen. — ‘Omphalor’ sind in Milet bisher 
nur in der Nekropole zu Tage gekommen. Einer davon ist mit 
einer großen Schlange umwunden.“") — 
Trotz dieser, wie ich jetzt rückhaltlos zugebe, bisher durch- 
aus negativen Ergebnisse der Ausgrabungen im Didymaion hin- 
sichtlich des dort gesuchten Omphalos muß ich aber doch meine 
Behauptung, daß Milet und dessen Didymaion genau ebenso wie 
Delphi und dessen Haupttempel beansprucht habe, der Omphalos, 
d. h. das Zentrum der bewohnten Erde, ja des Weltalls zu sein, 
ganz bestimmt aufrecht erhalten. Die für diese meine Annahme 
sprechenden Gründe sind folgende. 
ı) Die Bezeichnung Ioniens als'Zwerchfell’ (φρένες = prae- 
cordia) der Erde’, die sich in der von mir dem 6. Jahrhundert 
zugewiesenen Kosmologie des hippokratischen Buches von der 
Siebenzahl findet, beweist m. E. unwiderleglich, daß jener ionisch 
schreibende, nur hocharchaische Anschauungen verratende und die 
69) Vgl. einstweilen den Plan des Didymaions (nach den französ. Ausgrabungen!) 
im Dietionn. d. antiquites IV, ı p. 217 [Roscner]. 
70) 8. unten Taf. VI Fig. 5. Ich verdanke die betreffende Photographie und 
2 kleine erläuternde Skizzen der Güte WırgAnps und Dr. BRUNO SCHRÖDERS. 
 
	        
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