Besprechung von Theodor Kappstein, Berlin 121
18.
Der geistvolle Verfasser der vielgelesenen und vielbe-
sprochenen „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ gibt ein
umfangreiches Werk heraus unter dem Titel: „Immanuel
Kant. Die Persönlichkeit als Einführung in das Werk.“
In sechs Vorträgen, die sich zu umfassenden Abschnitten
auswachsen, erörtert er Goethe: Idee und Erfahrung;
Leonardo: Begriff und Anschauung; Descartes: Verstand
und Sinnlichkeit; Bruno: Kritik und Dogmatismus; Plato:
Wissen und Wähnen; Kant: Wissenschaft und Religion.
Chamberlain will Kant nicht der Gelehrtenkaste über-
lassen, sondern ihn zum kostbaren Eigentum aller Gebil-
deten machen. Kant hat einmal gesagt, er sei zu früh ge-
kommen, sein Morgen werde erst nach einem Jahrhundert
aufgehen; „jetzt dämmert dieser Morgen“, ruft unser Ver-
fasser. „Das neue Jahrhundert bedarf dieses starken
Schutzgeistes; heute wissen es einige und ahnen es viele,
dass eine Weltanschauung einen Grundpfeiler der Kultur
der Zukunft bilden muss,“ Für jeden gebildeten und ge-
Sitteten Menschen besitzt Kant’s Denken vorbildliche Be-
deutung; es bewahrt vor den beiden entgegengesetzten Ge-
fahren: vor priesterlichem Dogmatismus und wissenschaft-
lichem Aberglauben, und es stärkt zur hingebenden Erfül-
lung der Lebenspflichten. In warmen persönlichen Worten
erzählt uns der Wiener H. St. Chamberlain zunächst von
seinem seelischen und geistigen Verhältnis zu Kant. Kant's
Auge habe ihn angeschaut, als er zum erstenmale in einem
Buche von ihm blätterte. Der Mensch und der Weise habe
ihn zuerst zu dem Königsberger Philosophen hingezogen.
„Und so ward ich im Laufe der Jahre mit Kant immer
vertrauter. Seine Art, zu denken, wuchs in mich hinein
oder ich in sie.“ ‘Kant’s Bücher, die steif und trocken er-
scheinen auf den ersten Blick, seien in Wahrheit lebens-