Full text: Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts und Immanuel Kant

  
  
Besprechung von Dr. Oscar Bulle, München 19 
  
wird hier zum Leben, das im Glauben wurzelt. Eine wirk- 
lich im Erkennen tätige, mit der Natur innig verwachsene 
und aus ihr stets lebenspendende Kraft schöpfende Erschei- 
hung, die vor dem Rätsel des eigenen Innern staunend 
steht, weil sie hier den Hauch der Unsterblichkeit ver- 
spürt — das ist der Homo europaeus in dem von Cham- 
berlain gewollten idealen Sinn. Die Vereinigung von wis- 
senschaftlichem, freiem, lebendigem Denken, das zugleich 
eine künstlerisch schöpferische Gestaltungsfähigkeit in sich 
schliesst, also von einer Weltanschauung, die tätig wirkt, 
‚und von der lebendigen Empfindung eines grossen Weltge- 
heimnisses, von der Ahnung eines unwahrnehmbaren Kos- 
mos neben dem wahrnehmbaren, eines Übernatürlichen im 
Natürlichen, also von einer das ganze Wesen durchdrin- 
senden, ihm eingeborenen, nicht aufgeimpften Religiosität 
— diese Vereinigung. allein kann, nach Chamberlain, eine 
lebensfähige Kultur schaffen, sie allein kann die Hoffnung 
auf eine Fortentwickelung der Menschheit zu höheren 
Zielen begründen und zugleich uns den Masstab zur Be- 
trachtung unseres gegenwärtigen Kulturstandes wie zur 
Abwägung der ihm zugrunde liegenden historischen Ele- 
mente liefern. ‚Wenn ich einerseits die Volksindividuali- 
täten sinnend betrachte,“ so sagt Chamberlain im Eingang 
seines sechsten Abschnitts, ‚„‚andrerseits hervorragende 
Männer an meinem Auge vorbeiziehen lasse, so entdecke 
ich eine ganze Reihe von Beziehungen zwischen Weltan- 
Schauung und Religion, welche sie mir als innig organisch 
verbunden zeigen: wo die eine fehlt, fehlt die andere, wo 
die eine kräftig blüht, blüht die andere; ein tiefreligiöser 
Mann ist ein wahrer Philosoph (im lebendigen, volksmäs- 
sigen Sinn des Wortes), und die auserlesenen Geister, die 
Sich zu umfassenden, lichthellen Weltanschauungen er- 
heben — ein Bacon, ein Leonardo, ein Bruno, ein Kant, 
‚ein Goethe — sind freilich selten kirchlich fromm, doch 
immer auffallend ‚religiöse‘ Naturen.“ 
Wir glauben mit diesen, zum Teil durch des Verfassers 
Yx* 
& 
 
	        
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