Full text: Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts und Immanuel Kant

    
    
34  Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts 
  
und diesen edlen Tieren nicht gestattet, mit seinem na- 
türlichen, gesunden Urteil durchzugehen. Einfach ver- 
möge unsrer Eigenschaft als lebendige Wesen steckt in 
uns eine unendlich reiche und sichere Fähigkeit, dort, wo 
es nottut, auch ohne Gelehrsamkeit das Richtige zu 
treffen.“ 
Diese reiche und sichere Fähigkeit hat Chamberlain 
besonders dort bewiesen, wo es sich darum handelt, das 
Wesentliche — oder sagen wir mehr einschränkend: das 
für seine Weltanschauung Bedeutungsvolle und Lebendige 
— aus grossen geschichtlichen Perioden, aus dem inneren 
Leben der für unsre Kultur wichtigen Völker, herauszu- 
fühlen und darzustellen. Hier leitet ihn nicht nur ein feiner 
Instinkt, sondern noch mehr eine grosse Anschauung, 
ein weitumfassender Sinn für alles Charakteristische in 
Persönlichkeiten wie in Völkerindividuen. Deshalb sind 
besonders die das „Erbe der alten Welt“ entwickelnden 
Eingangskapitel seines Buches von bestrickendem Zauber 
und zugleich von monumentaler Grösse. Hier entfaltet der 
Schriftsteller sein eminentes, zusammenfassendes und pla- 
stisches Können, hier kommt zugleich der kühne Wagemut, 
das kecke Zugreifen in der Stellung der Probleme, das 
furchtlos über alle Hecken und Schranken der hergebrach- 
ten wissenschaftlichen Tradition hinwegsetzende stolze 
Selbstgefühl des mehr auf sein eigenes sicheres Empfinden 
als auf die Ausführungen der „Gelehrten“ sich stützenden 
Geschichtsphilosophen zur vollen Geltung. Seine Abhand- 
lung über ‚„hellenische Kunst und Philosophie“ ist, unter 
diesem Gesichtspunkt betrachtet, ein wie aus einem Stück 
gegossenes, bruch- und sprungloses, prächtiges plastisches 
Werk, obwohl es weder das Wesen des Hellenentums nach 
allen Seiten hin erschöpft, noch in seinen wissenschaft- 
lichen, d. h. literarischen und geschichtlichen Grundlagen 
unangefochten bleiben wird. Wie die hellenische Kunst 
und Philosophie noch gegenwärtig im Bewusstsein gestal- 
tend weiter wirken, das bleibt für Chamberlain hier die 
 
	        
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