40 Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts
2.
Ein ‚deutscher Engländer“, Herr Houston Stewart
Chamberlain hat im Jahre 1899 ein von Wien datiertes und
dem damaligen Rektor unserer Universität, Herrn Hofrat
Prof. Dr. Julius Wiesner, dem hochverdienten Physiologen,
gewidmetes Buch herausgegeben, das bereits die zweite
Auflage erlebte und das unstreitig zu den hervorragend-
sten Schriften gehört, die das hinsterbende 19. Jahrhun-
dert teils zur Selbstkritik, teils zur Selbstverherrlichung
ins Leben gerufen hat. Mancher, der die tausend eng ge-
druckten grossen Seiten des Buches aufmerksam gelesen
hat, wird sogar behaupten, es sei die hervorragendste
unter den Schriften fin de siöcle, die bisher erschienen
ar RER
Chamberlain betont wiederholt, dass er kein Fachge-
lehrter sei; was er aber nicht betont, das ist sein im-
menses Wissen und seine Virtuosität in der Darstellung
und inneren Verknüpfung der Kenntnisse, die er den ersten
Autoritäten auf den verschiedenartigen Gebieten, die er
zu behandeln hatte, entlehntee Das Buch ist darum in
erster Linie ein typisches Beispiel der Geschichtsauffassung
und der Weltanschauung, die hochgebildete Laien unserer
Tage auf Grund der Resultate der philosophischen, ge-
schichtlichen und naturwissenschaftlichen Forschung im
weitesten Sinne des Wortes sich zu bilden veranlasst wer-
den. Von diesem Gesichtspunkte betrachtet, ist sein Buch
ungemein lehrreich, für den Katholiken ‚aber zugleich
sehr wenig erfreulich; denn Chamberlain, dem ‚die wün-
schenswerte Gabe der Lüge nicht zuteil wurde“ (8. 647),
gelangt zu dem Resultate, das er wohl hundertmal klipp
und klar ausspricht, die katholische Kirche und das ka- |
tholische Christentum sei der eigentliche Feind des ger-