Full text: Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts und Immanuel Kant

    
   
48  Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts 
  
Vorstellungen und bis zum heutigen Tage ist er nicht aus- 
getragen. Denn diese beiden Mächte haben uns das dog- 
matische Christentum überliefert und aus dem Leben Jesu 
Christi eine Lehre gemacht, die ‚mit dem innersten Seelen- 
glauben der Germanen nie wirklich übereingestimmt hat, 
so dass Goethe mit Recht sagen durfte: Den deutschen 
Mannen gereicht's zum Ruhm, dass sie gehasst das. Chri- 
stentum“. Unabhängig von diesem Christentum steht die 
Erscheinung Christi, worüber Chamberlain in einem. wun- 
derbaren Kapitel spricht. „Nichts ist nötiger, als gerade 
die Erscheinung Christi deutlich und wahrheitsgetreu zu 
erblicken. Denn — wie unwürdig wir uns dessen auch er- 
weisen mögen — unsere gesamte Kultur steht, gottlob! 
noch unter dem Zeichen des Kreuzes auf, Golgatha. . Wir 
sehen: wohl dieses Kreuz, wer sieht aber den Gekreuzigten? 
Er aber, und er allein, ist der lebendige Born alles Chri- 
stentums, sowohl des intolerant Dogmatischen, wie auch 
des durchaus ungläubig sich Gebenden.“ 
Von der wahren, von jüdischen wie jesuitischen Zu- 
taten freien Gestalt Christi ist die religiöse Wiedergeburt 
zu erwarten, die. noch als die Krone der neuen germa- 
nischen Welt fehlt. ‚Findet nicht bald. unter uns eine 
mächtige, gestaltungskräftige Wiedergeburt idealer Gesin- 
nung statt und zwar eine spezifisch religiöse Wiedergeburt, 
gelingt es uns nicht bald, die fremden Fetzen, die an un- 
serm Christentum wie ‚Paniere obligatorischer Heuchelei 
und Unwahrhaftigkeit noch hängen, herunterzureissen, 
besitzen wir nicht mehr die schöpferische Kraft, um aus 
den Worten und dem Anblick des gekreuzigten Menschen- 
sohnes eine vollkommene, vollkommenlebendige, der Wahr- 
heit unsres :Wesens und unsrer Anlagen, dem gegenwär- 
tigen Zustand unsrer Kultur entsprechende Religion zu 
schaffen, eine Religion, so unmittelbar überzeugend, so 
hinreissend schön, so gegenwärtig, so plastisch beweglich, 
so ewig wahr und doch so neu, dass wir. uns ihr hingeben 
müssen, wie das Weib ihrem Geliebten, fraglos, sicher, 
  
 
	        
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