Full text: Familienalbum einer Stadt

  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
ZWEI WELTEN GEGENUEBER 
Psychologie lernt man nieht von Professoren, son- 
dern von Sehaufensterarrangeuren. Sie sind die gebore- 
nen Romandichter. Sie kennen die Frauen, sie kennen 
die Männer. Und wie! Ihnen verdanke ich meine Min- 
derwertigkeitsgefühle. Seit an jener Strassenecke im 
Zentrum gegenüber dem Herrenmodegeschäft das grosse 
heue Warenhaus steht. Schaufenster sehen einander an. 
Herren und Damen schauen hinein. Es sind zwei Wel- 
ten an zwei Strassenecken. Die Welt der Männer kann 
‘sieh mit der der Frauen nieht vergleichen, aber nicht 
im allermindesten. Und das macht einen ganz kleinlaut. 
Einmal warf man im Vorübergehen ganz gern ei- 
nen Blick in die männlichen Schaufenster. Fertige An- 
züge waren da, nach neuestem Sehnitt, Modestoffe aus 
 Eneland, Pullover und Kravatten in den bevorzugten 
Farben. Mein oder nieht mein, das war die Frage. Und 
man schob es bis zum nächsten Vierteljahr auf, die Ant- 
wort zu geben. Jetzt steht man vis-a-vis vor den Schau- 
fenstern für Frauen und vergleieht. Man erinnert sich, 
_ den Auslagendekorateur drüben an der Arbeit gese- 
hen zu haben; damals fiel uns das nieht auf, wie ein. 
_ Schaufensterarrangeur für Männer arbeitet. Nun fühlt 
man tiefe Beschämung. Wer sind wir schon, wir Män- 
  
  
      
ner? Primitive, poesielose Geschöpfe. Eine vorübertrot- 
tende Herde. Distinguiert sind wir, das ist alles. „Eur. 
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