FAVORITEN UND AUSSENSEITER
In der San Jos& kommt ein Mann eilig auf mich
zu und fragt: „Temprano?“
Ich sehe nach meiner Armbanduhr und sage, es
sei gerade ein Viertel nach fünf. Denn „temprano“
heisst: früh.
Verächtlich, zersehmetternd ist der Blick des Man-
nes. Er eilt weiter und verschwindet im nächsten Haus
in einer breiten offenen Tür. Diese Tür führt in ein
grosses, langgestrecktes Lokal. Das Lokal ist voll Men-
schen.
Nun frage ich einen: „Temprano?“
„Ja“, sagt er lachend, „mit einer Kopflänge.“
„Temprano“ ist ein Rennpferd. Ein Favorit. Es
hat soeben die 600 Meter gewonnen. Und die vielen
Menschen in dem grossen Saal sind lauter Fachleute
des Turfs. Das Lokal ist ein Wettbüro.
Für Pferderennen hat Montevideo zwei grosse Bah-
nen: in Las Piedras und in Maroüas. Schon am Vor-
mittag der Renntage stehen die „Badewannen“ nach >
den Rennplätzen an bestimmten Strassenecken. Man
kann nicht früh genug zur Stelle sein, wenn man ein
leidenschaftlicher „Renntipser“ ist und einen Renntag
riehtig geniessen will. Und darauf verstehen sich die 5
_ Montevideaner. Es ist eine ihrer Leidenschaften wie :
Fussball und Quiniela, die keine Lotterie. Das Bau |’
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