Der Cocainismus. 91
Fetischismus, aber angeblich nur unter dem Einfluß des Cocains, Alkoholabusus. Psy-
chisch: mäßige Intelligenz, gute Ausnutzung seiner Lebenserfahrungen, die ihn in seinem
Kreise die Rolle des ‚‚Vernünftigen“ und Überlegenen spielen lassen. Erhöhte Reizbarkeit.
Die Wirkung des Cocains kann er mit keiner bekannten Sensation vergleichen; er wird,
wie viele seiner Genossen, um Worte verlegen, wenn er sie schildern soll, wobei er jeden
Vergleich. mit der ihm gut bekannten Alkoholwirkung ablehnt, die übrigens, was in diesen
Kreisen allgemein bekannt und oft geübt ist, durch wenige Prisen vollkommen aufzuheben
ist, Charakteristisch ist seine Stellung zu der von den Coeainisten sogenannten „Reaktion“;
er willnämlich das depressive Stadium der Ernüchterung mit dem alkoholischen ‚‚Katzen-
jammer“ keineswegs in Parallele gesetzt haben. Aus dem „‚heulenden Elend“ des Trinkers
heule der Alkohol; dem Cocainisten aber kämen traurige Gedanken, seelische Bewegungen,
die ihn schwermütig stimmen. Das Wesentliche der Cocainwirkung ist für ihn eine Steigerung
der gesamten psychischen Persönlichkeit, unter dem Gefühl innerer Wallungen sich mani-
festierend; schärferes Erfassen der Wirklichkeit, greifbar deutliche Plastizität von Ideen,
die ihm sonst nur undeutlich. vorschweben, vermehrter Tlatendrang, Redelust, Schlagfertig-
keit. Wir haben diese Wirkungen wie auch die unmittelbare Nachwirkung stärkerer Dosen
bei N. mehrfach beobachtet, wo er mit heiserer Stimme und ermüdender Weitschweifigkeit
sich um Nichtigkeiten herumzankte und bei völliger Appetitlosigkeit und enormem Durst
gedankenflüchtigste Erzählungen spann. Einen ausgesprochenen Kontrast boten hierzu
die bei N. N. durch Alkohol hervorgerufenen Veränderungen. Er redet auch dann sehr viel,
aber weit eintöniger, ist anbiedernd, einfältig, läppisch, sentimental, in plumper Weise
prahlsüchtig, leicht in seiner Ehre gekränkt. Man kann bei ihm unschwer Cocain- und
Alkoholwirkung unterscheiden. Nach Ablauf des euphorischen Stadiums verbringt er
Stunden mit stumpfem Vorsichhinbrüten oder einem typischen „Suchkokolores“,in welchem
er einmal nächtelang in den Straßen umhergeirrt wäre, jeden Fetzen Papier, in welchem er
einen Geldschein oder ein Cocainpäckehen witterte, auflas. Von körperlichen Cocain-
symptomen dreimal in den letzten Jahren im Anschluß an tagelangen Genuß Schleier vor
den Augen, Gesichtsfeldausfall in Form einer tellergroßen Scheibe. Die Ärzte, denen er
seine Leidenschaft verschwiegen habe, hätten Nicotinismus diagnostizie Als Abstinenz-
symptome: Zerschlagenheit und ein eigentümliches Zucken in den Beinen. Einmal be-
obachteten wir im Anschluß an ein von ihm als verfälscht bezeichnetes Präparat, das sich
bei der Untersuchung als reines Novocain erwies, ein typisches urticarielles Exanthem. So
zweifellos N. auch zu längerer Abstinenz fähig sein mag, SO besteht doch zuweilen eine außer-
ordentliche Gier nach Cocain bei ihm; es wirkt grotesk, wie dieser ganz umgängliche Mann oft
auch nur einige Krystalle zu erhaschen sucht, um sie auf der Zunge zergehen zu lassen.
Er war in letzter Zeit körperlich sehr heruntergekommen und befindet sich jetzt seit einigen
Monaten wegen Eigentumsdeliktes im Gefängnis,
6. 8.8., 24 Jahre, Student. Mutter sehr reizbar, sonst Familienanamnese belanglos.
Früher einmal auf 2 therapeutisch genommene Opiumtabletten Gefühl von Gehobenheit.
Sonst nie mit Gift in Berührung gekommen, Kein Alkoholmißbrauch, kein Berauschungs-
bedürfnis, Seit dem Kriege starker Raucher. Durch einen Freund vor etwa 1!/, Jahren
zum Cocainschnupfen veranlaßt, dem er sich in mäßigem Grade hingibt. Er nimmt Cocain
fast nur in geselligem Kreis und kommt bei täglichem Genuß auf etwa 1—2 g pro Woche.
Bei den ersten Prisen, etwa 5 mg, rein lokale Erscheinungen, nahm fast täglich eine Prise
und verspürte zum ersten Male nach 5 Tagen bei der gleichen I )osis eine Allgemeinwirkung,
worauf er dann, um sie länger festzuhalten, die Gabe auf das Dreifache steigerte. Von den
physischen Wirkungen, welche sich im weiteren Verlauf des zuweilen wochen- und monate-
lang unterbrochenen Cocaingenusses herausstellten, werden hervorgehoben: Schlaflosigkeit,
Tachykardie, Tachypnoe, zwangsmäßige Mundbewegungen, Hitze- und Kälteschauer;
in der Anfangszeit Schweißausbrüche, später nicht mehr, Kein Durchfall, kein vermehrter
Stuhldrang, dagegen Pollakisurie. Geruchsvermögen seit Cocaingebrauch. chronisch herab-
gesetzt. Der Einfluß auf die Sexualsphäre sei von der Ausgangsstimmung abhängig. Fast
immer nehme bei ihm unter Cocain die Libido zu, die Potenz ab, wobei sich. durch Verzögerung
des Erektions- und Ejaculationseintritts unter Umständen der sexuelle Genuß erhöhen
könne. Hautemptindlichkeit zunächst erhöht, später abgeschwächt. Er glaubt eine Über-
empfindlichkeit des Gehörs- und Gesichtssinns bemerkt zu haben. Die psychische Wirkung
besteht zunächst in einer Euphorie, die er als Wohlbefinden ohne inneren Zwang zu irgend