66 Ernst Jo@l und Fritz Fränkel:
mädchen, das vergessen hat, sich, zu „stellen“, sieht ebenso wie der Schieber,
dessen Papiere in Unordnung sind, überall den Kriminalbeamten, der Soldat
den Feind, usw.
Unterscheidet das Fehlen des Symbolcharakters bzw. der mehrfachen Deter-
mination das Wahnbild des Cocainisten vom Traum, so bildet seine Systemati-
sierung einen Gegensatz zum alkoholischen Delir, vielleicht auch, ein Zeichen
dafür, daß die Alteration der höheren psychischen Funktionen durch Cocain
weniger tief geht, als durch Alkohol. Selbst die primitivsten wahnhaften Ein-
bildungen versucht der berauschte Cocainist zu begründen, wie etwa B. E. die
elektrische Beeinflussung, die er spürt, dem unter ihm wohnenden, mit ihm
verzankten Monteur zuschreibt. Aber ernüchtert folgt momentane Einsicht,
und nur der chronische Cocainist spinnt seine Wahnideen weiter aus und hält
an ihnen fest.
Wir können den Mechanismus der Wahnbildung beim Cocainismus so wenig
erklären wie bei anderen psychotischen Erkrankungen. Wir müssen sie hin-
nehmen als eine der Reaktionsformen der desäquilibierten Persönlichkeit und,
begnügen uns mit dem Hinweis, daß die vergleichende Symptomatologie der
Toxikosen gerade diesbezüglich eine überraschende Gleichförmigkeit zeigt.
Der innere Aufbau der Wahngebilde ist bei den verschiedenen Giften völlig
gleich, und eines der Grundelemente, die Beziehungsidee, tritt in mehreren unserer
Fälle in gleicher Form, in gleicher Bewertung, gleiche Reaktionen auslösend auf,
mag das Individuum unter Cocain oder unter Alkoholwirkung stehen.
Bedarf es für die Bildung wahnhafter Gedankengänge, soweit sie im akuten
Vergiftungsstadium erfolgt, keines prädisponierenden, konstitutionellen Mo-
mentes, #0 dürfte dieses wohl in allen Fällen vorhanden sein, in denen in der
Abstinenzperiode entstandene oder mit hineingebrachte Wahnvorstellungen lange
Zeit festgehalten werden. Dann ist nach. unseren Erfahrungen sorgfältige
Prüfung daraufhin erforderlich, ob es sich. wirklich nur um paranoisch. ver-
anlagte Cocainisten handelt (paranoiäques constitutionels, Vallon u. Bessiere)
oder ob der Cocainmißbrauch. nicht eine zufällige Komplikation einer eventuell
durch, das Gift provozierten Psychose ist. Vor allem gilt dies bei den Cocain-
schnupfern, und wir haben auf das Beispiel solch eines Zusammentreffens
bereits ausführlich, hingewiesen.
In welcher Beziehung zu den psychischen Vorgängen steht nun das äußere
Verhalten des berausehten Cocainisten? Wir erinnern uns, daß er schon im
euphorischen Stadium lebhafte motorische Erregung zeigte. Waren deren
Umsetzungen auch nicht von hohem Niveau, so waren sie doch in sich
sinnvoll. Dagegen ist das Beschäftigtsein der Berauschten eine Betriebsam-
keit, bar jeder Leitidee. In dem sinnlosen Ordnungmachen, dem häufigen
Sieh-waschen, dem Schreiben, Bilanzen machen, in dem Umherschweifen und
dem Suchen, überall sehen wir eine klaffende Inkoordination von Handlung
und Zweck. Äußerlich betrachtet könnte man ohne Kenntnis von der Ver-
giftung die Leute für Zwangsneurotiker halten, die an Waschzwang usw.
leiden. Auch ihre Menschenscheu, ihre Bedenklichkeit (habe ich all meine
Papiere, werde ich noch die nächste Prise nehmen), ihr Haften an Kleinig-
keiten, ihre Unfähigkeit, selbständig, ohne daß gerade von außen ablenkende
Reize kommen, einmal begonnene Tätigkeit abbrechen zu können, erinnert an
die Zwangsneurose. Aber bei allem Triebmäßigen fehlt hier die Erkenntnis