68 Ernst Joöl und Fritz Fränkel:
entgegensetzen, so daß prozentual immer weniger von dem schädlichen. Mittel
überhaupt in den Organismus hineingelangt; er kann lernen, die Ausscheidung
des Giftes durch Nieren, Darm, Leber oder Lungen zu beschleunigen; er kann
die Fähigkeit gewinnen, es zu zerstören oder zu unschädlichen Verbindungen
mit anderen Substanzen zu kuppeln; schließlich können sich auch die Angriffs-
organe des Giftes im Laufe der Zeit gegen seine Wirkung abstumpfen. Diese
Möglichkeiten können sich kombinieren. (Vgl. Joel: Zur Pathologie der
Gewöhnung.)
Die Frage, ob es eine Cocaingewöhnung gebe, hat naturgemäß von Anfang
an stark interessiert, denn es ist ja von größter prognostischer Bedeutung,
ob der Organismus lediglich rein psychisch an das Gift gebunden ist oder ob
außerdem noch eine somatische Veränderung im Sinne eines cellulären Gift-
hungers vorliegt, die womöglich nur sehr allmählich rückgängig zu machen
geht.
Aus naheliegenden Gründen konnte hier nur das Experiment am Tier herangezogen
werden. P. Ehrlich, der mit Mäusen arbeitete, Wiechowski, der an Hunden Versuche
anstellte, konnten keinerlei Gewöhnung konstatieren. Grode sah bei Meerschweinchen,
Katzen und Hunden sogar eine nicht unerhebliche Steigerung der Empfindlichkeit
eintreten, die entweder in substantieller Kumulation, also einer wirklichen Anhäufung des
Giftes ihren Grund haben kann oder aber in einer zunehmenden Reizbarkeit seiner Ziel-
organe, Kaninchen, die Wiechowski zufolge das Cocain völlig zersetzen, werden nach
Grode zwar nicht empfindlicher, gewöhnen sich. aber ebensowenig wie die anderen Ver-
suchstiere. Zu bemerkenswerten Ergebnissen kam Rifätwachdani bei Nachprüfung von
Wiechowskis Untersuchungen. Seine Kaninchen schieden bei einmaliger subcutaner
Verabreichung von 0,05 g salzsauren Öocains bis 85°/, im Harn aus; bei täglich wiederholter
Injektion der gleichen Menge kam es innerhalb von 9 Tagen zu immer größeren Öocain-
ausscheidungen, bis zu 112°/,, woraus also dreierlei hervorgeht: 1. daß Kaninchen sehr wohl
im Harn Cocain auszuscheiden vermögen, 2. daß eine gewisse Anhäufung im Tierkörper
stattfindet, 3. daß die Tendenz vorliegt, allmählich prozentual mehr auszuscheiden. Zu
ähnlichen Resultaten haben die Studien von K. Levy geführt. Auch er konnte weder bei
Kaninchen noch bei Hunden erhöhte Toleranz nach länger durchgeführten Cocaininjektionen
feststellen, im Gegenteil bei Kaninchen Sensibilisierung. Diesen Sensibilisierungswirkungen
gingen einige Tage der Latenz voraus, in denen sich also noch keinerlei Einfluß des Cocains
zeigte. Nach mehrwöchigen Pausen riefen die früheren Dosen die gleichen Effekte hervor.
Im Hundeharn wurde bei längerer Cocainverabreichung keinerlei Änderung in der Aus-
scheidungsmenge bemerkt. Schließlich konnte er bei Tieren, die geringere Cocaingaben
längere Zeit ohne schwerere Schädigung erhalten hatten, bei Aussetzen des Mittels niemals
Abstinenzerscheinungen feststellen. Wir werden sogleich sehen, daß diese Untersuchungen
bemerkenswerte Analogien zu den Beobachtungen an Cocainisten darbieten,
Auf einen angeblichen Entgiftungsvorgang im Gewebe, der auch für den Menschen zu-
treffen soll, hat Kohlhardt aufmerksam gemacht. Nachdem er beim Kaninchen um eine
Extremität eine Stauungsbinde gelegt hatte, konnte er bei genügend langer Strangulation
das Doppelte der letalen Dosis einspritzen, die nun unschädlich blieb, Seiner Deutung,
das Cocain werde durch irgendwelche Wirkungen des lebendigen Protoplasmas zerstört,
tritt Rifätwachdani entgegen, der nämlich aus solchen abgebundenen Extremitäten
noch ansehnliche Mengen des Alkaloids zurückgewann und den ganzen Vorgang als bloße
Resorptionsverlangsamung hinstellte. Damit würde denn die St rangulierung grobmechanisch
nichts anderes bewirken, als was das Adrenalin auf vasoconstrictorischem Wege erreicht.
Eine humorale oder celluläre Entgiftung (Zerstörung) müssen wir als um so fraglicher hin-
stellen, nachdem Wiechowski auch in überlebenden Organen keine Zersetzung des Co-
cains hat nachweisen können.
Einen sehr bemerkenswerten Beitrag zur Gewöhnung eines isolierten Organes ans
Cocain hat dagegen Kochmann beigebracht. Er stellte fest, daß Froschherzen sichspontan
von der toxischen Wirkung einer Cocainlösung erholen, welche bei genügender Konzentration
bis zu diastolischem Stillstand führen kann. Daß es sich dabei nicht allein um eine