96 Walther May, Gomera.
der Vegetation. Die Palmen und Wolfsmilchsträucher, die uns
bisher begleitet hatten, verschwanden und wurden allmählich
durch Lorbeerbäume und Baumheide ersetzt. Was von der Ferne
als kahle Felswand erschien, zeigte sich in der Nähe mit Heide-
büschen, zahllosen Hauslaubrosetten von Riesengröße, mächtigen
Agavensträuchern und kleinen blühenden Kräutern überzogen,
Der Felsenpfad wurde immer reicher an Pflanzen; Flechten,
Moose und Farne bedeckten den Boden, und von den Felsen
träufelte das Wasser herab.
Gegen halb ein Uhr kamen wir auf der etwa goo m hohen
Cumbre del Carbonero an und rasteten auf dem Köhlerpaß. Der
Pfad ist hier durch einen kleinen Hügel geteilt, auf dem sich
ein Holzkreuz erhebt. Wenn man von der Höhe des Passes, der
einen ganz scharfen Grat überschreitet, nach der anderen Seite
hinübersieht, überschaut man plötzlich ein wogendes, grünes Wald-
meer. Wir hatten jene Wälder erreicht, von denen ich so oft
geträumt, nachdem ich Bolles Schilderungen gelesen. Die Aus-
sicht von der Cumbre war unvergleichlich großartig. Nach rück-
wärts sahen wir in den wilden Barranco de la Villa, wo tief
unten der glitzernde Bach sich hinschlängelte und ganz im Elinter-
grund die weißen Häuser San Sebastians am Meeresstrande
sichtbar waren. Nach vorwärts schauten wir in das Tal von
Hermigua mit seinen in langer Linie sich hinziehenden Häusern,
und auf die Meeresbucht am Ausgang des Tales,
Wir stiegen nun nach FHermigua hinab und wanderten etwa
eine halbe Stunde lang in dem feuchtkühlen Wald, der aus den
typischen Charakterbäumen der kanarischen Montanregion zu-
sammengesetzt war: dem Loro (Laurus canariensis), dem Barbu-
sano (Apollonias canariensis), dem Til (OÖreodaphne foetens), dem
Vifatico (Persea indica), dem Kirschlorbeer (Myrica faya), der
kanarischen Stechpalme (Ilex canariensis) und der Baumheide
(Erica arborea). Mit Ausnahme des zuletzt genannten Baumes,
der Nadeln trägt, haben alle diese Holzgewächse sehr ähnliches
Laub, nämlich ovale, ganzrandige, satt- und immergrüne, spiegel-
glänzende und fiedernervige Blätter, eine Eigentümlichkeit, deren
Ursache bis jetzt nicht erkannt ist, die aber nicht vereinzelt da-
steht, indem die Gehölzformationen des gemäßigten Australien
und des südwestlichen Kaplandes die gleiche Erscheinung auf-
weisen. Die vier Lauraceen der Kanaren, der Loro, Barbusano,